Die Feuertaufe: Richard Bolitho - Fahnrich zur See - Kent Alexander (книги онлайн txt) 📗
Oben trieb die machtige Stimme des Bootsmanns die Matrosen an ihre Platze; die Decksplanken uber Bolithos Kopf erzitterten unter dem Getrampel ihrer eilenden Fu?e.
Unten, in der Finsternis, drohnte Tergorrens Stimme:»Beeilung, ihr verdammte Bande! Das dauert schon viel zu lange!»
Im mittleren Geschutzdeck befanden sich, abgesehen von den Matrosen, die zur Bedienung der doppelten Reihe von Zweiunddrei?igpfundern notig waren, zwei Leutnants (namlich Tergorren, der den Oberbefehl fuhrte, und sein Adjutant, der Sechste Leutnant Mr. Wellesley) sowie vier Midshipmen. Diese letzteren waren gleichma?ig uber alle Geschutzdivisionen verteilt. Sie sollten Befehle weiterleiten, notfalls selbstandig Feuerbefehl erteilen und als Gefechtslaufer zum Achterdeck fungieren. Bolitho und Dancer waren auf der Backbordseite; ein murrischer Jungling namens Pearce und der kleine Eden hatten die Steuerbordbatterie.
In der Mitte des Decks stand Tergorren mit dem Rucken zum Hauptmast, die Arme verschrankt, und uberspahte mit gesenktem Kopf seinen Bereich. Nicht weit von ihm stand ein Posten der Marine-Infanterie am Niedergang, ebenso wie an den anderen Luken. Diese Posten sollten verhindern, da? im Durcheinander des Gefechts einer, den der Kampfesmut verlie?, etwa irgendwo im Schiffsrumpf Zuflucht suchte.
Wellesley, der Sechste, lief sabelrasselnd die Backbordseite ab, wo er bei jedem Geschutz gerade so lange stehenblieb, bis der Geschutzfuhrer meldete:»Feuerbereit, Sir!»
Endlich war alles ruhig, nur das leise Heben und Senken des Schiffs, das regelma?ige Quietschen der Blocke, wenn die Kanonen gegen die Taljen arbeiteten, unterbrach die Stille.
Bolitho konnte die Spannung, die uber dem ganzen Schiff lag, formlich riechen. Er versuchte, nicht an das Midshipmen-Logis im Orlopdeck zu denken, das ebenfalls umgeraumt war. Dort befanden sich jetzt der Schiffsarzt und seine Sanitatsgasten. Laternen brannten, chirurgische Instrumente blinkten in ihren offenen Behaltern. Jedesmal, wenn Kapitan Conway» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen hatte, sah das Midshipmen-Logis so aus — kaum zu zahlen, wie oft er es schon so gesehen hatte.
Tergorren schrie:»Mr. Wellesley! Warum dauert das so lange?»
Der Sechste rannte schlurfend zu ihm, stolperte uber einen Ringbolzen und ware beinahe lang hingefallen.
«Untere Batterie klar zum Gefecht, Sir!«Er verschluckte sich beinahe.
Auf dem Deck uber ihnen gellte eine Pfeife, und jemand rief:»Klar zum Gefecht, Sir!»
Tergorren fluchte lasterlich.»Die haben uns schon wieder geschlagen, hol sie der Teufel!«Wutend fugte er hinzu:»Mr. Eden! Stellen Sie die Zeit fest! Aber marsch, marsch!»
Eden kam zuruck und meldete keuchend:»Kompliment vom Ersten Leutnant, Schiff gefechtsklar in zwolf Minuten. «Er zogerte.»Aber…»
«Was — aber?»
Der Junge schluckte.»Aber wir haben langer als alle anderen Divisionen gebraucht, Sir.»
Weitere Befehle wurden gepfiffen; die Signale der Bootsmannspfeifen schrillten wie die Stimmen der Vogel auf einem Moor in Norfolk.
«Stuckpforten auf!»
Bolitho beugte sich vor, weil eine ubereifrige Geschutzmannschaft aus der Reihe tanzte. Es war erstickend hei? im unteren Deck, aber gleich wurden sich alle Pforten mit einem Schlag offnen, hier und auf dem nachstoberen Deck. Jetzt — die Luken gingen hoch, und sofort spurte er die kuhle Luft einstromen, und die Manner in seiner nachsten Umgebung gewannen Personlichkeit und Bedeutung; matt glanzten ihre nackten Oberkorper im fahlen Fruhlicht. Er warf einen raschen Blick nach achtern und sah, wie Dancer ihm fluchtig zuwinkte.
Wahrend der Morgenwache hatte die Gorgon ihren Kurs geandert und steuerte jetzt Ostsudost, denn der Wind hatte sich etwas nach Norden gedreht und war so geblieben. Das Schiff krangte leicht, und da der Wind von Backbord achtern kam, zeigten die Geschutzlaufe in Bolithos Abschnitt etwas nach oben und blieben frei von Gischt. Er konnte die lebhaften wei?en Wellenkamme sehen, und auch ein paar seltsame Fische, die aus dem Wasser sprangen und wie Seevogel, auf der Fahrtwelle hupfend, das Schiff ein Stuck begleiteten. Er lehnte sich weiter hinaus, blickte um die Mundung eines Geschutzes herum und sah druben etwas Dunkles auf dem Wasser — das mu?te die
Athen sein. Er versuchte zu erraten, was an Deck geschah. Das Prisenschiff kam aus seiner geschutzten Leeposition heraus und nahm einen Kurs, der es offenbar zwischen die Gorgon und das Festland bringen sollte — aber wo sich das Festland befand, das wu?te er nicht.
«Konnen Sie Land sehen, Sir?«fragte ein junger Matrose. Er war ein gutaussehender Bursche, der von Devon an Bord gekommen war. Wahrend der Nachtwachen und bei hei?en Exerziermanovern hatte er erzahlt, da? seine gesamte Familie fur einen dortigen Gutsherrn arbeite. Ein harter Mann, der dazu neigte, die Tochter seiner Pachter und Tagelohner zu mi?brauchen. Mehr hatte er ihm nicht anvertraut, aber Bolitho war sicher, da? er den Gutsbesitzer verprugelt hatte und dann geflohen war, um an Bord eines Schiffes, irgendeines Schiffes, zu gelangen und so der Strafe zu entgehen.
Bolitho antwortete:»Wir mussen ganz dicht heran sein, Fairweather. Da sind schon ein paar Seevogel. Die wollen sich wohl mal unser Schiff ansehen wurde mich nicht wundern.»
«Ruhe in der Batterie!«Tergorrens Wut schien sich uber Offiziere und Matrosen gleicherma?en zu entladen.
Ein Mann schrie schmerzlich auf, als sein Geschutzfuhrer das Tauende sausen lie?; und von achtern her quakte Wellesleys wenig imponierende Stimme:»He — schreiben Sie den Mann auf!»
Kein Mensch wu?te, welchen Mann er meinte, und an wen der Befehl gerichtet war — nach Bolithos Schatzung wollte der Leutnant nur einen Anpfiff Tergorrens vermeiden.
Seltsam, hier unten kam man sich vor, als sei man vom ganzen ubrigen Schiff abgeschnitten. Es wurde drau?en heller, und auf der See malte sich ein Muster von Schwarz und Gelb, aber man konnte Himmel und Horizont noch nicht deutlich voneinander unterscheiden. Der quadratische Ausschnitt der Stuckpforte in der dicken, eichenen Rumpfbeplankung wirkte wie der Rahmen eines Bildes; aber als das Licht starker wurde und auf dem langen Rohr des Zweiunddrei?igpfunders spielerisch entlanglief, schienen sie alle zu Teilen dieses Bildes zu werden. Jetzt bekam namlich auch das Innere des Batteriedecks Farbe. Jetzt wurde der dunkelrote Anstrich der Innenseite des Schiffsrumpfes und eines Teils der Decksplanken unter ihren Fu?en sichtbar. Warum ausgerechnet rot — das wu?te jeder, auf dieser Farbe sah man das Blut der Toten und Verwundeten nicht so deutlich. Bolitho blickte uber das abfallende Deck zur Gegenseite hinuber. Dort lagen die offenen Stuckpforten noch im Dunkel, in das nur manchmal der Kamm einer Woge oder ein paar Schaumfetzen hineinblitzten.
Er blickte zu Tergorren hin. Der sprach ganz ruhig mit Jehan, dem Stuckmeister. Dieser trug, wie immer, wenn er in seiner geliebten Pulverkammer arbeitete, dicke Filzschuhe, so da? er sich vollig lautlos bewegte. Eben verschwand er in der Luke, wo der Posten stand, und Bolitho uberlegte sich, ob Dancer wohl daran dachte, da? er so ziemlich auf der gefahrlichsten Stelle des ganzen Schiffes stand; denn genau unter seinen Fu?en lagerte eine Unmenge Schie?pulver, das bei einem Gefecht jederzeit in die Luft fliegen konnte.
Etwas wie ein Seufzer wurde in der Batterie laut, als sich die ersten Sonnenstrahlen durch die offenen Geschutzpforten hineinwagten. Auf einen Geschutzverschlu? gestutzt, beobachtete Bolitho, wie der Horizont immer wirklicher und greifbarer wurde: dort lag das Festland.
Aufgeregt fragte Fairweather:»Is' das Afrika?»
Der Geschutzfuhrer entblo?te seine unregelma?igen Zahne.»Kann dir ganz egal sein, wo du bist, mein Junge. Kummer' dich um unsere alte Tante hier und futtere sie anstandig, ganz egal, was kommt — mehr brauchst du nicht zu wissen!»
Ein Midshipman kam vom oberen Deck und sah sich nach Tergorren um. Das Burschchen war Midshipman Knibb, nicht gro?er und nur einen Monat alter als der kleine Eden.