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Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia (прочитать книгу TXT) 📗

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»Sie wurde … gestohlen«, antwortete Casaflora ausweichend.

»Gestohlen?« Waterweg klang jetzt alarmierter als zuvor. »Von wem?«

Casaflora seufzte. »Von einem, der sie wahrscheinlich inzwischen vernichtet hat«, sagte er. Er sagte es sehr laut und deutlich und er sprach nach wie vor spanisch. »Oder auch nicht … Aber sicher ware es kluger von ihm gewesen, sie zu vernichten.«

Da begann Jose zu begreifen. Casaflora wusste, dass er da war, ganz nah. Er wusste, dass Jose die Karte hatte. Warum hatte Jose das verdammte Ding nicht vernichtet? Die Wahrheit war, dass er sie uber Marits Verschwinden vollig vergessen hatte. Sie steckte noch immer sorgsam gefaltet in seiner hinteren Hosentasche. Verdammt!

»Und wenn er die Karte nicht vernichtet hat, wohin bringt er sie?«, zischte Waterweg. »Wer ist es, der sie gestohlen hat?«

»Nur ein kleiner Junge«, sagte Casaflora. »Ein kleiner Junge, der ein Held sein will. Die Geschichte ist zu lang, um sie hier zu erzahlen …«

Waterweg trat einen Schritt naher und jetzt hielt er die Pistole direkt vor Casaflora Gesicht.

»Wo ist er?«

»Hier … auf der Insel«, antwortete Casaflora. »Glaube ich. Aber er ist schlau und schnell, er kennt die Bedingungen der Inseln, er ist von hier, und … sehen Sie sich vor, wenn Sie ihn suchen.« Jose horte ein Lacheln in seiner Stimme. »Er schleppt eine Mauser mit sich herum, zum Jagen. Sicher wurde er nicht zogern, notfalls auf einen Menschen zu schie?en.«

Jose kroch langsam ruckwarts. Die Mauser uber seiner Schulter war hinderlich beim Kriechen. Seine Gedanken uberschlugen sich. Er musste hier weg. Er musste die Karte loswerden. Casaflora hatte extra spanisch gesprochen, um ihn zu warnen. Und Casaflora hatte in der Nacht zuvor vielleicht nicht einmal geschlafen. Er hatte nur so getan. Er hatte still gelegen, die Augen vielleicht nicht ganz geschlossen, und hatte darauf gewartet, dass Jose abdruckte.

Er hatte sich nicht geruhrt, um sich zu wehren.

Etwas war geschehen in diesem knurrigen alten Mann, etwas, das Jose nicht verstand. Er verstand nur, dass er sich aus dem Staub machen musste, rasch …

»Da ist noch etwas«, horte er Waterweg sagen. »Das hier lag bei der Feuerstelle.«

»Ein Teddybar«, sagte Casaflora.

»Ja, ein Teddybar«, wiederholte Waterweg. »Und ich kenne das Madchen, dem er gehort. Sie ist meine Nichte. Sie ist mit mir auf die Inseln gekommen und den Baren hat sie mitgenommen. Aber dann ist sie verschwunden, von dem Schiff verschwunden, das uns nach Baltra bringen sollte. Es war eine schreckliche Geschichte. Ich dachte, sie ware nicht mehr am Leben, sie ware uber Bord gesprungen. Wir haben sie nie gefunden. Nur den Baren habe ich behalten. Nicht lange allerdings. Eine der Mowen hielt ihn wohl fur etwas Essbares. Ich habe gesehen, wie sie damit wegflog. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie bis hierher … Naturlich ist es moglich……«

»Nein«, sagte Casaflora. »Der Bar ist zuruckgekehrt zu dem Madchen. Jedenfalls hatte sie ihn bis vor Kurzem noch. Wenn sie es war.«

Waterweg starrte ihn an. Was? Sie ……Erklaren Sie mir … Wo ist sie?«

»Ich wei? es nicht«, erwiderte Casaflora. »Ich wei? es wirklich nicht. Sieht aus, als ware es eine Angewohnheit von ihr, zu verschwinden. Fragen Sie ihren Bruder, wenn Sie ihn treffen.«

»Ihren … Bruder?«, wiederholte Waterweg perplex.

Jose wusste, was er mit der Karte tun wurde. Er schlangelte sich zwischen den Buschen hindurch wie ein Salamander, noch immer geduckt, und die tragen rot-schwarzen Leguane sahen ihm verwundert nach, wie er zuruck ins Innere von Marchena hetzte, den Vulkan hinauf. Er sah sich nicht um. Vielleicht war Waterweg bereits hinter ihm her. Vielleicht hatte er das Rascheln seiner Schritte gehort, hatte Joses Spur aus aufgescheuchten bunten Vogeln gelesen und wurde ihn einholen, ehe er sein Ziel erreicht hatte … Die trockene Luft brannte in seinen Lungen, wahrend er weiterrannte.

Und endlich stand er auf der Caldera, nach Atem ringend. Hinter ihm blieb das Inselgestrupp still. Niemand folgte ihm. Er holte die Karte aus seiner Tasche, wickelte sie um einen Stein und schlang einen langen durren Grashalm drum herum. Dann suchte er eine geeignete Stelle, holte weit aus und schleuderte das Paket ins Maul des Kraters, dorthin, wo er eine Lavapfutze Blasen werfen sah. Das Papier wurde Feuer fangen und verbrennen, und dies wurde das Ende der Karte sein. Das Ende deutscher Spionage auf Baltra.

Das deutsche Militar wurde nie die Informationen bekommen, die es brauchte, um seine todlichen U-Boote durch den Kanal zu schmuggeln. Um die amerikanischen Flugzeuge abzuschie?en. Um den Krieg zu den Galapagosinseln zu tragen.

Jose beobachtete die Flugbahn des Steins mit einem goldenen Klumpen aus Stolz in der Brust.

Doch der Stein landete nicht in der Lavapfutze. Er flog ein wenig zu weit und kam in einem toten Gestrupp jenseits der Lava auf, und dort blieb er liegen – das wei?e Papier gut sichtbar bis zum Kraterrand, auf dem Jose stand. Er fluchte, kletterte ein Stuck in den Krater hinein – und wurde von einer Schwefelwolke zuruckgedrangt. Der Boden unter ihm schien sich wieder zu regen, wie schon am Morgen.

Bist du noch bei Verstand?,raunte die Abuelita. In einen Vulkan hinunterzusteigen, der so leicht schlaft und so lebhaft traumt wie dieser?Zwei Lavafontanen spritzten zu beiden Seiten des Papiers auf, jedoch ohne es zu treffen.

Jose schuttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »nein, ich bin nicht mehr bei Trost, Abuelita. Ich hoffe nur, dass dieser Waterweg noch bei Trost ist und nicht der Karte hinterherklettert, falls er sie entdeckt.«

Damit machte er sich auf den Weg zuruck nach unten. Immer wieder hielt er inne, weil er sich einbildete, von Schritten verfolgt zu werden, verborgenen Schritten im Dickicht. Er schlug Haken und Bogen, machte einen riesigen Umweg. Und als er schlie?lich wieder in der Nahe des Strands war, war es beinahe Abend geworden. Er hatte seit dem Morgen nichts getrunken. Das Blau des Pazifiks, das hinter dem Strand schimmerte, schien ihm jetzt beinahe verlockend, so als konnte man das Meerwasser trinken. Vielleicht war es das, was die Segler letztlich umbrachte, dachte er: dass sie aus Verzweiflung Salzwasser tranken. Sein Kopf drohnte, und seine Schlafen schmerzten, als hatte jemand eine Zange dort angesetzt. Nur noch ein paar Hundert Meter durchs Gebusch, dann ware er am Strand, dann wurde er zur Mariposa hinausschwimmen und den letzten Kanister holen, und womoglich war Marit dort. Zwischen dem Drohnen in seinem Schadel gab es nur noch diese beiden Gedanken: Wasser und Marit, Marit und Wasser, Wasser und … Es raschelte neben ihm, ein Leguan floh vor etwas, vor jemandem, ungewohnlich eilig, und Jose horte den Atem eines anderen Menschen, ganz nah.

»Marit?«, flusterte er.

»Nein«, sagte der andere, und Jose wurde so rasch gepackt, dass er keine Zeit hatte zu reagieren. Oder womoglich war es das Kopfweh, das ihn langsamer machte als sonst. Die Mauser landete auf dem Boden, ein Arm nahm ihn in den Schwitzkasten. Er schaffte es, den Kopf ein wenig zu drehen, und blickte in ein Gesicht mit kaum sichtbaren Augenbrauen und wei?blondem Haar. Zwei blaue Augen sahen ihn an, hell wie die von Marit. Aber dieses Blau war vor langer Zeit zu Eis gefroren.

»Wo ist sie?«, fragte Waterweg.

Unerreichbar, dachte Jose. In seinem Kopf entstand ein Bild der Karte, die um den Stein gewickelt zwischen den Schwefeldampfen und den Lavafontanen im Krater lag. Waterweg verengte seinen Griff um Joses Hals und er spurte die Mundung einer Pistole unter seinem Kinn.

»Du wei?t vielleicht nicht, wer ich bin«, sagte der Mann. »Sie ist meine Nichte. Und du tragst ihre Mutze. Was hast du mit ihr gemacht?«

Da verstand Jose. Er sprach nicht von der Karte. Er sprach von Marit. Er wand sich in Waterwegs Griff.

»Gar nichts«, zischte er, und sein Arger war gro?er als seine Angst. Wie konnte dieser Fremde denken, er hatte Marit etwas getan! »Sie … sie ist verschwunden! Aber wenn ich wusste, wo sie ist, wurde ich es Ihnen nicht sagen.«

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