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Ferdinands Schuld und Wandlung - Goethe Johann Wolfgang (читаем книги онлайн TXT) 📗

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Название:
Ferdinands Schuld und Wandlung
Дата добавления:
17 март 2020
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Ferdinands Schuld und Wandlung - Goethe Johann Wolfgang (читаем книги онлайн TXT) 📗
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Erz?hlung aus Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795)

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Man kann in Familien oft die Bemerkung machen, da? Kinder sowohl der Gestalt als dem Geiste nach bald vom Vater, bald von der Mutter Eigenschaften an sich tragen, und so kommt auch manchmal der Fall vor, da? ein Kind die Naturen beider Eltern auf eine besondere und verwundernswurdige Weise verbindet.

Hievon war ein junger Mensch, den ich Ferdinand nennen will, ein auffallender Beweis. Seine Bildung erinnerte an beide Eltern, und ihre Gemutsart konnte man in der seinigen genau unterscheiden. Er hatte den leichten und frohen Sinn des Vaters, so auch den Trieb, den Augenblick zu genie?en, und eine gewisse leidenschaftliche Art, bei manchen Gelegenheiten nur sich selbst in Anschlag zu bringen. Von der Mutter aber hatte er, so schien es, ruhige Uberlegung, ein Gefuhl von Recht und Billigkeit und eine Anlage zur Kraft, sich fur andere aufzuopfern. Man sieht hieraus leicht, da? diejenigen, die mit ihm umgingen, oft, um seine Handlungen zu erklaren, zu der Hypothese ihre Zuflucht nehmen mu?ten, da? der junge Mann wohl zwei Seelen haben mochte.

Ich ubergehe mancherlei Szenen, die in seiner Jugend vorfielen, und erzahle nur eine Begebenheit, die seinen ganzen Charakter ins Licht setzt und in seinem Leben eine entschiedene Epoche machte.

Er hatte von Jugend auf eine reichliche Lebensart genossen, denn seine Eltern waren wohlhabend, lebten und erzogen ihre Kinder, wie es solchen Leuten geziemt, und wenn der Vater in Gesellschaften, beim Spiel und durch zierliche Kleidung mehr, als billig war, ausgab, so wu?te die Mutter als eine gute Haushalterin dem gewohnlichen Aufwande solche Grenzen zu setzen, da? im Ganzen ein Gleichgewicht blieb und niemals ein Mangel zum Vorschein kommen konnte. Dabei war der Vater als Handelsmann glucklich; es gerieten ihm manche Spekulationen, die er sehr kuhn unternommen hatte, und weil er gern mit Menschen lebte, hatte er sich in Geschaften auch vieler Verbindungen und mancher Beihulfe zu erfreuen.

Die Kinder, als strebende Naturen, wahlen sich gewohnlich im Hause das Beispiel dessen, der am meisten zu leben und zu genie?en scheint. Sie sehen in einem Vater, der sichs wohl sein la?t, die entschiedene Regel, wornach sie ihre Lebensart einzurichten haben, und weil sie schon fruh zu dieser Einsicht gelangen, so schreiten meistenteils ihre Begierden und Wunsche in gro?er Disproportion der Krafte ihres Hauses fort. Sie finden sich bald uberall gehindert, um so mehr, als jede neue Generation neue und fruhere Anforderungen macht und die Eltern den Kindern dagegen meistenteils nur gewahren mochten, was sie selbst in fruherer Zeit genossen, da noch jedermann ma?iger und einfacher zu leben sich bequemte.

Ferdinand wuchs mit der unangenehmen Empfindung heran, da? ihm oft dasjenige fehle, was er an seinen Gespielen sah. Er wollte in Kleidung, in einer gewissen Liberalitat des Lebens und Betragens hinter niemanden zuruckbleiben, er wollte seinem Vater ahnlich werden, dessen Beispiel er taglich vor Augen sah und der ihm doppelt als Musterbild erschien: einmal als Vater, fur den der Sohn gewohnlich ein gunstiges Vorurteil hegt, und dann wieder, weil der Knabe sah, da? der Mann auf diesem Wege ein vergnugliches und genu?reiches Leben fuhrte und dabei von jedermann geschatzt und geliebt wurde. Ferdinand hatte hieruber, wie man sich leicht denken kann, manchen Streit mit der Mutter, da er dem Vater die abgelegten Rocke nicht nachtragen, sondern selbst immer in der Mode sein wollte. So wuchs er heran, und seine Forderungen wuchsen immer vor ihm her, so da? er zuletzt, da er achtzehn Jahre alt war, ganz au?er Verhaltnis mit seinem Zustande sich fuhlen mu?te.

Schulden hatte er bisher nicht gemacht, denn seine Mutter hatte ihm davor den gro?ten Abscheu eingeflo?t, sein Vertrauen zu erhalten gesucht und in mehreren Fallen das Au?erste getan, um seine Wunsche zu erfullen oder ihn aus kleinen Verlegenheiten zu rei?en. Unglucklicherweise mu?te sie in eben dem Zeitpunkte, wo er nun als Jungling noch mehr aufs Au?ere sah, wo er durch die Neigung zu einem sehr schonen Madchen, verflochten in gro?ere Gesellschaft, sich andern nicht allein gleichzustellen, sondern vor andern sich hervorzutun und zu gefallen wunschte, in ihrer Haushaltung gedrangter sein als jemals; anstatt also seine Forderungen wie sonst zu befriedigen, fing sie an, seine Vernunft, sein gutes Herz, seine Liebe zu ihr in Anspruch zu nehmen, und setzte ihn, indem sie ihn zwar uberzeugte, aber nicht veranderte, wirklich in Verzweiflung.

Er konnte, ohne alles zu verlieren, was ihm so lieb als sein Leben war, die Verhaltnisse nicht verandern, in denen er sich befand. Von der ersten Jugend an war er diesem Zustande entgegen; er war mit allem, was ihn umgab, zusammengewachsen; er konnte keine Faser seiner Verbindungen, Gesellschaften, Spaziergange und Lustpartien zerrei?en, ohne zugleich einen alten Schulfreund, einen Gespielen, eine neue, ehrenvolle Bekanntschaft und, was das Schlimmste war, seine Liebe zu verletzen.

Wie hoch und wert er seine Neigung hielt, begreift man leicht, wenn man erfahrt, da? sie zugleich seiner Sinnlichkeit, seinem Geiste, seiner Eitelkeit und seinen lebhaften Hoffnungen schmeichelte. Eins der schonsten, angenehmsten und reichsten Madchen der Stadt gab ihm, wenigstens fur den Augenblick, den Vorzug vor seinen vielen Mitwerbern. Sie erlaubte ihm, mit dem Dienst, den er ihr widmete, gleichsam zu prahlen, und sie schienen wechselsweise auf die Ketten stolz zu sein, die sie einander angelegt hatten. Nun war es ihm Pflicht, ihr uberall zu folgen, Zeit und Geld in ihrem Dienste zu verwenden und auf jede Weise zu zeigen, wie wert ihm ihre Neigung und wie unentbehrlich ihm ihr Besitz sei.

Dieser Umgang und dieses Bestreben machte Ferdinanden mehr Aufwand, als es unter andern Umstanden naturlich gewesen ware. Sie war eigentlich von ihren abwesenden Eltern einer sehr wunderlichen Tante anvertraut worden, und es erforderte mancherlei Kunste und seltsame Anstalten, um Ottilien, diese Zierde der Gesellschaft, in Gesellschaft zu bringen. Ferdinand erschopfte sich in Erfindungen, um ihr die Vergnugungen zu verschaffen, die sie so gern geno? und die sie jedem, der um sie war, zu erhohen wu?te.

Und in eben diesem Augenblicke von einer geliebten und verehrten Mutter zu ganz andern Pflichten aufgefordert zu werden, von dieser Seite keine Hulfe zu sehen, einen so lebhaften Abscheu vor Schulden zu fuhlen, die auch seinen Zustand nicht lange wurden gefristet haben, dabei von jedermann fur wohlhabend und freigebig angesehen zu werden und das tagliche und dringende Bedurfnis des Geldes zu empfinden, war gewi? eine der peinlichsten Lagen, in der sich ein junges, durch Leidenschaften bewegtes Gemut befinden kann.

Gewisse Vorstellungen, die ihm fruher nur leicht vor der Seele vorubergingen, hielt er nun fester; gewisse Gedanken, die ihn sonst nur Augenblicke beunruhigten, schwebten langer vor seinem Geiste, und gewisse verdrie?liche Empfindungen wurden dauernder und bitterer. Hatte er sonst seinen Vater als sein Muster angesehen, so beneidete er ihn nun als seinen Nebenbuhler. Von allem, was der Sohn wunschte, war jener im Besitz; alles, woruber dieser sich angstigte, ward jenem leicht. Und es war nicht etwa von dem Notwendigen die Rede, sondern von dem, was jeder hatte entbehren konnen. Da glaubte denn der Sohn, da? der Vater wohl auch manchmal entbehren sollte, um ihn genie?en zu lassen. Der Vater dagegen war ganz anderer Gesinnung; er war von denen Menschen, die sich viel erlauben und die deswegen in den Fall kommen, denen, die von ihnen abhangen, viel zu versagen. Er hatte dem Sohne etwas Gewisses ausgesetzt und verlangte genaue Rechenschaft, ja eine regelma?ige Rechnung von ihm daruber.

Nichts scharft das Auge des Menschen mehr, als wenn man ihn einschrankt. Darum sind die Frauen durchaus kluger als die Manner, und auf niemand sind Untergebene aufmerksamer als auf den, der befiehlt, ohne zugleich durch sein Beispiel vorauszugehen. So ward der Sohn auf alle Handlungen seines Vaters aufmerksam, besonders auf solche, die Geldausgaben betrafen. Er horchte genauer auf, wenn er horte, der Vater habe im Spiel verloren oder gewonnen, er beurteilte ihn strenger, wenn jener sich willkurlich etwas Kostspieliges erlaubte.

«Ist es nicht sonderbar«, sagte er zu sich selbst,»da? Eltern, wahrend sie sich mit Genu? aller Art uberfullen, indem sie blo? nach Willkur ein Vermogen, das ihnen der Zufall gegeben hat, benutzen, ihre Kinder gerade zu der Zeit von jedem billigen Genusse ausschlie?en, da die Jugend am empfanglichsten dafur ist! Und mit welchem Rechte tun sie es? Und wie sind sie zu diesem Rechte gelangt? Soll der Zufall allein entscheiden, und kann das ein Recht werden, wo der Zufall wirkt? Lebte der Gro?vater noch, der seine Enkel wie seine Kinder hielt, es wurde mir viel besser ergehen; er wurde es mir nicht am Notwendigen fehlen lassen; denn ist uns das nicht notwendig, was wir in Verhaltnissen brauchen, zu denen wir erzogen und geboren sind? Der Gro?vater wurde mich nicht darben lassen, so wenig er des Vaters Verschwendung zugeben wurde. Hatte er langer gelebt, hatte er klar eingesehen, da? sein Enkel auch wert ist zu genie?en, so hatte er vielleicht in dem Testament mein fruheres Gluck entschieden. Sogar habe ich gehort, da? der Gro?vater eben vom Tode ubereilt worden, da er seinen letzten Willen aufzusetzen gedachte, und so hat vielleicht blo? der Zufall mir meinen fruhern Anteil an einem Vermogen entzogen, den ich, wenn mein Vater so zu wirtschaften fortfahrt, wohl gar auf immer verlieren kann.»

Mit diesen und anderen Sophistereien uber Besitz und Recht, uber die Frage, ob man ein Gesetz oder eine Einrichtung, zu denen man seine Stimme nicht gegeben, zu befolgen brauche, und inwiefern es dem Menschen erlaubt sei, im stillen von den burgerlichen Gesetzen abzuweichen, beschaftigte er sich oft in seinen einsamen, verdrie?lichsten Stunden, wenn er irgend aus Mangel des baren Geldes eine Lustpartie oder eine andere angenehme Gesellschaft ausschlagen mu?te. Denn schon hatte er kleine Sachen von Wert, die er besa?, vertrodelt, und sein gewohnliches Taschengeld wollte keinesweges hinreichen.

Sein Gemut verschlo? sich, und man kann sagen, da? er in diesen Augenblicken seine Mutter nicht achtete, die ihm nicht helfen konnte, und seinen Vater ha?te, der ihm nach seiner Meinung uberall im Wege stand.

Zu eben der Zeit machte er eine Entdeckung, die seinen Unwillen noch mehr erregte. Er bemerkte, da? sein Vater nicht allein kein guter, sondern auch ein unordentlicher Haushalter war. Denn er nahm oft aus seinem Schreibtische in der Geschwindigkeit Geld, ohne es aufzuzeichnen, und fing nachher manchmal wieder an zu zahlen und zu rechnen und schien verdrie?lich, da? die Summen mit der Kasse nicht ubereinstimmen wollten. Der Sohn machte diese Bemerkung mehrmals, und um so empfindlicher ward es ihm, wenn er zu eben der Zeit, da der Vater nur geradezu in das Geld hineingriff, einen entschiedenen Mangel spurte.

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