Der Stolz der Flotte: Flaggkapitan Bolitho vor der Barbareskenkuste - Kent Alexander (читать полностью бесплатно хорошие книги txt) 📗
Doch jetzt war es Abend, und die Abende im Mittelmeer faszinierten Bolitho immer wieder. Wahrend die vier Linienschiffe vor dem stetigen rauhen Wind muhelos dahinglitten, wurden die Schatten auf den Decksgangen immer langer, und vor dem Bug schimmerten die Schatten bereits in unbestimmtem tieferem Purpur. Doch achteraus war der Himmel noch lachsrot; im scheidenden, vom Horizont herabflie?enden Sonnenlicht schimmerten die Marssegel der Valorous perlmuttern wie riesige Muschelschalen.
Wenn Wind und Seegang so blieben, wurde jedes Schiff wahrend der Nacht ohne Schwierigkeiten seine Position halten konnen. Daruber mu?te sich Broughton freuen, dachte Bolitho.
Keverne trat heran.»Mit der Sicht wird es wohl bald vorbei sein, Sir«, sagte er.
Bolitho blickte zum Rad hinuber, wo der dicke Master bei dem Rudergasten stand.»Wir werden gleich zwei Strich abfallen, Mr. Partridge. «Er hielt nach Midshipman Tothill Ausschau, der bei den Leewanten stand, und befahl ihm:»Signal an Geschwader vorbereiten: >In Kiellinie Kurs Ost zu Sud.<»
Um den Midshipman brauchte er sich nicht weiter zu kummern. Tothill und seine Signalgasten waren au?erordentlich tuchtig. Der Junge wurde einen guten Offizier abgeben.
Zu Keverne sagte er:»Jedes Schiff soll ein Hecklicht fuhren, fur den Fall, da? wir auseinandergeraten. Das kann auch eine Hilfe fur die Coquette sein, wenn sie uns sucht.»
Die Fregatte patrouillierte namlich funfzehn Meilen achteraus, eine Vorsichtsma?nahme, damit sie nicht bereits von einer neugierigen Feindpatrouille beschattet wurden.
Die kleine Korvette Restless war in Luv der Zeus eben noch sichtbar, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie wichtig sich ihr junger, frisch ernannter Kommandant auf einmal vorkam. Sie war als einziges Schiff im Geschwader schnell genug, falls ein verdachtiges Segel auftauchte und erkundet werden mu?te.
Es war immer dasselbe: Fregatten gab es nie genug; und jetzt, da ihnen die Auriga fehlte, mu?ten sie bei weitraumigen Operationen noch sparsamer disponieren.
«Signal vorbereitet, Sir«, rief Tothill.
«Recht so. «Bolitho nickte Keverne zu.»Machen Sie weiter. Ich mu? den Admiral informieren.»
In der gro?en Kajute sa?en Broughton und Draffen einander gegenuber an dem langen Tisch. Keiner von ihnen sprach; Bolitho konnte das Schweigen zwischen ihnen geradezu spuren.
«Nun?«Broughton lehnte sich zuruck und tippte lassig an sein unberuhrtes Glas Rotwein.
«Klar zur Kursanderung, Sir Lucius. «Draffen beobachtete ihn genau, seine Augen glanzten im Licht der Deckenlampe und dem rotlichen Schein, der durch die Fenster einfiel.
«Recht so. «Broughton zog seine Uhr.»Irgendwelche Anzeichen, da? wir verfolgt werden?»
«Keine, Sir.»
«Dann machen Sie bitte weiter«, knurrte Broughton.»Ich komme vielleicht spater an Deck.»
Draffen stand auf und stutzte sich auf die Tischplatte, denn die Eu-ryalus sank soeben in ein Wellental.»Ich wurde mich Ihnen gern anschlie?en, Captain«, sagte er und nickte Broughton gleichmutig zu.»Schiffsfuhrung interessiert mich immer wieder, wissen Sie.»
«Ah — Moment mal«, fuhr Broughton auf. Aber als Bolitho sich zu ihm umwandte, schuttelte er abweisend den Kopf.»Nichts. Gehen Sie an Ihren Dienst.»
Auf dem Achterdeck bemerkte Draffen gelassen:»Mit dem Admiral das Quartier zu teilen, ist auch nicht die bequemste Art zu reisen.»
Bolitho lachelte.»Sie konnen gern meine Kajute beziehen. Ich verbringe mehr Zeit im Kartenraum als in meiner Koje.»
Draffen schuttelte den Kopf. Seine Augen uberflogen die einzelnen Divisionen, die bereits an ihren Stationen auf den nachsten Befehl vom Achterdeck warteten.»Sir Lucius und ich kommen jeder von einem anderen Pol, Bolitho. Aber es ware ganz gut, wenn wir die gesellschaftlichen Unterschiede wenigstens einige Zeit beiseite lassen konnten.»
Bolitho verga? Draffen und die Spannungen in der Admiralskajute. Er wandte sich Keverne zu.»Vorbereitetes Signal hissen!«befahl er. Und als die Flaggen zur Rahe hinaufflogen und sich ungeduldig im Winde entfalteten, rief er:»Klar zur Kursanderung, Mr. Partridge!»
«Die Zeus hat bestatigt, Sir.»
In der Tat drehte das Fuhrungsschiff bereits majestatisch auf den neuen Kurs; Marssegel und Besan killten sekundenlang, kamen aber rasch wieder unter Kontrolle. Die Tanais folgte ihrem Beispiel; der gewolbte Rumpf glanzte in dem schwindenden Licht, als sie rasch auf die neue Ruder- und Segelstellung reagierte.
Keverne hob die Sprechtrompete. Er pre?te seinen schlanken Korper gegen die Reling, als wollte er das machtige Schiff herumdrucken.
«An die Brassen!«Er deutete in den purpurnen Schatten am Fu? des Gro?mastes.»Mr. Collins, schreiben Sie den Mann da auf! Der stolpert ja 'rum wie 'ne Hure auf der Hochzeit!»
Unbekannte Stimmen murmelten aus der Dusternis, Partridges wei?es Haar schimmerte gelb im Schein der Lampe, als er sich uber den Kompa? beugte.
«Hol an! Zugleich!»
Die Manner lehnten sich zuruck und holten die machtigen Rahen herum; taktma?ig stampften die Marine — Infanteristen am Kreuzmast. Das Schiff krangte starker, die Segel zitterten und brausten unter dem Wechsel des Winddrucks.
Bolitho lehnte sich uber die Reling und suchte mit den Augen sein Schiff ab; seine Ohren nahmen das vielfaltige Knarren und Stohnen der Wanten und Stagen auf — das tat er ganz automatisch, aber es entging ihm nichts.
«Gehen Sie auf den neuen Kurs, Mr. Partridge!«Er sah zum Mast hoch, wo Broughtons Flagge und der Windstander sich langsam drehten, bis sie uber den Backbordbug wiesen.
«Ost zu Sud liegt an, Sir!«Partridge trat auf die andere Seite der Bussole, als Bolitho nach achtern kam und sich uber die herumschwingende Windrose beugte.
«Recht so. «Er spurte, wie das Schiff reagierte, sah die machtigen dunklen Rechtecke der Segel im Wind wieder steif werden, als die Euryalus nun gehorsam auf neuem Kurs lief.
Es wurde jetzt rasch dunkel. In diesen Breiten war das immer so. In der einen Minute ein scheinbar nicht endenwollendes gluhendes Abendrot, und dann auf einmal alles schwarz, bis auf das sahnige Wei? am Bug und hier und da einen Wellenkamm, wenn eine Bo sie streifte.
Keverne brullte:»An die Leebrassen! Zum Donnerwetter, hol dicht! Mr. Weigall, Ihre Leute mussen besser ran!»
Uber dem tiefen Saitenton von Wanten und Stagen hallten Stimmen; wahrscheinlich verfluchte der Dritte Offizier Kevernes unheimlich scharfe Augen — oder sein auf Sachverstand beruhendes Ahnungsvermogen.
Draffen hatte wortlos zugesehen, wie die einzelnen Divisionen ihre vielfaltigen Aufgaben ausfuhrten.»Hoffentlich bin ich an Bord, wenn Sie mal Gelegenheit haben zu zeigen, was sie unter vollen Segeln wirklich leisten kann!«murmelte er.
Bolitho lachelte.»Heute nacht wird es kaum dazu kommen, Sir. Wir werden die Marssegel sicherlich reffen mussen. Wenn man so eng aufgeschlossen segelt, besteht immer Kollisionsgefahr.»
Keverne kam wieder nach achtern und fa?te an den Hut.
«Bitte die Wache unter Deck schicken zu durfen, Sir.»
«Genehmigt. Das hat gut geklappt, Mr. Keverne.»
«Die Valorous ist auf Station, Sir«, erklang eine Stimme.
«Recht so. «Bolitho ging nach Luv hinuber. Er blickte den Matrosen und Seesoldaten nach, die zum Niedergang eilten, unter Deck verschwanden und ihre Logis aufsuchten. Eine vollgestopfte, strudelnde
Welt, wo sie zwischen den Kanonen schliefen, die sie in der Schlacht zu bedienen hatten, mit einer knappen Schulterbreite Raum fur jede Hangematte. Was mochten sie wohl denken, wo es hinging? Und was sie da sollten?
Draffen kam wieder zu Bolitho; beim Kompa? gluhte sein Gesicht im Lampenschein kurz auf. Im Gleichschritt gingen sie beide an den Finknetzen auf und ab.
«Mu? ein seltsames Gefuhl sein, Bolitho.»
«Was meinen Sie, Sir?«Bolitho hatte fast vergessen, da? er bei seinem ruhelosen Auf und Ab nicht allein war.